Christa Zettel
Gott würfelt nicht
Die Möglichkeit unseres Untergangs ist die Möglichkeit unserer Neugeburt
Mythos und Wissenschaft
ASIN: B005O0JYUI
http://www.amazon.de/dp/B005O0JYUI
(€ 9,99)
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Wenn ich mir die Geschichte ansehe, bin ich Pessimist.
Aber wenn ich mir die Vorgeschichte ansehe,
bin ich Optimist
(Jan Smuts)
Geschichte ist die Lüge auf die sich alle einigten
(Voltaire)
*
INHALT
Vorwort
Einleitung
Kapitel I: Das kollektive Unbewusste - Die Große Mutter
Was ist ein Mythos? - Elementargedanke und Völkergedanke der Mythen - Archetypen und deren Schatten - Offenbarung und Psyche - Die Große Mutter der Urmythen und die integrierende Funktion der Anima -
Der magische Ring - Lebenstrieb und Todestrieb
Kapitel II: Das Drama der Zivilisierung
1. Das Umweltprogramm der Vorgeschichte
Die Weltmitte der geozentrischen Weltsicht - Frau, Mond und Psyche - Zeit als Qualität - Die geozentrische Weltprojektion - Sein und Nichtsein - Die afrikanische Seinsphilosophie
2. Die Technik des Heiligen
Der transformierte Schamane - Entoptische Symbole und der Nahtod - Das Licht am Ende des Tunnels - Der sechste Sinn - Frühlicht des Geistes - Historische Zeugnisse der Technik des Heiligen -
Morphogenetische Felder und Bewusstsein
Kapitel III: Der Sündenfall
Die zwei Vorstellungen vom Paradies - Der Bund von Schlange und Adler - Die Trennung von Himmel und Erde - Das Auftreten des männlichen Doppelgottes - Das neue Frauenbild
Kapitel IV: Die Geschichte der Seele
1. Isis und Osiris
Die Vereinigung Ägyptens - Krise und Neugeburt - Am Anfang war das Wort - Die ägyptische Seelenlehre - Der Weg der Könige und die Osirische Passion
2. Seths Triumph über Horus
Ägyptens Niedergang - Der erste Gottesstaat - Der Krieg wird zum Vater aller Dinge - Das Vermächtnis Ägyptens
Kapitel V: Der Mythos des Abendlandes
1. Der Mythos von Tristan und Isolde
Die Löschung des Weiblichen - Die Geschichte von Tristan und Isolde - Tristans Wunde - Die Romantische Liebe und die Verquickung von Sexualität mit Schuld - Die Folgen des Mythos von Tristan und
Isolde
2. Mythos und Gegenwart
Dionysos gegen Apollon - Das Mysterium der Geschichte - Sintflut und Chaos
Kapitel VI: Am Ende der Zeit
1. Apokalypse und Wassermannzeitalter
Wahrheit als Paradox - Der gefesselte Prometheus - Polarzyklus und die Präzession der Äquinoktien - Der Himmel tönt nicht mehr in alter Weise - Augenzeugen einer Polsprungkatastrophe - Das vierte
Tier - Die Befreiung des Prometheus
2. Galaktische Synchronisation
Synchronisation und Umpolung - Vor uns die Sintflut?
Kapitel VII: Die Zukunft hat schon begonnen
1. Zeit als Prinzip harmonikalischer Resonanz
Die beiden Richtungen des Zeitgeschehens - Involution und Evolution - Das Mysterium der Wandlung - Das galaktische Herz
2. Der erwachende Geist
Biosphäre und „Noo-Sphäre“ – GEIST-in-Aktion
Verzeichnis der Textillustrationen
Bibliographie
VORWORT
2011 scheinen wir uns bereits in einer „bipolaren Klimaschaukel“ zu befinden, wie es sie zuletzt vor 14.700 Jahren gab, wonach mit dem Ackerbau die Geschichte unserer Zivilisation beginnt.
Dieses Buch zeigt auf, dass wir heute über genügend wissenschaftlich fundierte Kenntnisse verfügen, um es dem Rationalisten und dem Mystiker zu ermöglichen, den Schatten, den die Geschichte
wirft, zu überspringen. Wenn es uns gelingt, diese beiden Möglichkeiten der Erkenntnisgewinnung miteinander zu versöhnen, ist jenes Mysterium möglich, das „Endzeitmythen“ als Alternative zum
Untergang der Zivilisation(en) aufzeigen: der Sieg des Geistes über die Natur oder Materie, die im Stadium der Endzeit zu Auflösung und Gleichförmigkeit (Entropie) tendiert.
In jedem Fall müssen wir das Chaos konfrontieren, das wir in der Welt erzeugten. Denn leider ist es eine Illusion zu glauben, der geistige Quantensprung (die Erleuchtung) sei der Weg, um Chaos zu
vermeiden. Vielmehr müssen wir das Chaos konfrontieren, indem wir den Zuwachs an Erkenntnis schöpferisch nutzen, um jene giestige gegendrehung zu ermöglich, die fähig ist, alles Geschichtliche
(Zeitliche) zu transzendieren. Das kommt einem Dimensionssprung gleich, der alles verändert.
Ergriffen vom Anblick der Harmonie der Weltstruktur ruft Goethe’s Faust, der forschende Mensch, aus:
Wie alles sich zum Ganzen webt,
eins in dem andern wirkt und lebt,wie Himmelskräfte auf- und niedersteigen
und sich die goldnen Eimer reichen!
Die „Schöpfer“ sind wir, die „Wasserträger“ einer neuen Welt, in der die Erinnerung an unsere von Dualitäten zerrissene Zeit wie ein ferner Albtraum verblassen wird. Was für eine Möglichkeit! Sie ist
keine Illusion, sondern a priori in der menschlichen Psyche angelegt, weshalb wir uns ihrer erinnern können.
EINLEITUNG
Was die Raupe einen Weltuntergang nennt,
nennt der Rest der Welt einen Schmetterling
(Lao Tse)
Wir leben in einer Zeitenwende, als deren Beginn ein SPIEGEL-special (6/06) den „Elften September“ bezeichnete. Im November 2008 merkte Paul Krugman, Nobelpreisträger für
Wirtschaftswissenschaften, zur Weltwirtschaftskrise an: „Die traditionellen Instrumente der Wirtschafts- und Konjunkturpolitik greifen nicht mehr. Die üblichen Regeln…gelten nicht mehr. Tugend wird
zum Laster. Vorsicht ist gefährlich und Besonnenheit Verrücktheit“ (Paul Krugman. New York Times. Zitat: Der Standard 8. 11. 2008).
Unsere Welt ist dabei, auf den Kopf gestellt zu werden. Chaotische Einbrüche, die für Wendezeiten charakteristisch sind, lassen sich nicht mehr mit traditionellen Modellösungen bekämpfen, da
diese nicht mehr wirken, sondern das Chaos nur verstärken, weshalb vollkommen neue Lösungen gefunden werden müssen.
Das trifft nicht nur auf das globale Wirtschaftssystem zu. Einerseits erreicht die atomare Bedrohung einen neuen Höhepunkt, andererseits werden Klimaveränderungen offenkundig, „die stets Zeiten
rückläufiger Kultur sind, weil die Anpassung an eine ökologische Nische, die einer neuen Adaption bedarf, die gesamte psychische Energie der Völker erfordert“ (William I. Thompson). Zusätzlich
erwacht nach jahrhunderte langem traumatischem Schweigen „Der Hass auf den Westen“ (Jean Ziegler). Der den Kalten Krieg (O-W) ablösende N-S-Konflikt wurzelt in der „Eurozentrik“ (Bassam
Tibi) des „zivilisierten Mannes“, der im Verlauf seiner Geschichte ganze Städte auslöschte, ganze Völker dezimierte und ganze Wälder einebnete. Wie Jean Ziegler erkannte, handelt es sich dabei
um einen Konflikt, der über das Unbewusste ausgetragen wird. Er bezeugt eine „offene Wunde“, aber wie C. G. Jung aufmerksam machte, findet man, wenn man die psychische Wunde in einem
Individuum oder einem Volk findet, auch den Weg zur Bewusstwerdung.
Was ist eine Zeitenwende?
Der Schweizer Geisteswissenschafter Jean Gebser wies bereits 1949 darauf hin, dass wir in einer Wendezeit leben, die einen „vollständigen Umwandlungsprozess“ vorbereitet, der auf einen
Höhepunkt zustrebt, den man nur mit dem Ausdruck „globale Katastrophe“ umschreiben kann. Eine derartige Katastrophe stellt sich für das Leben der Menschen als „Neukonstellation planetarischen
Ausmaßes“ dar.
Schauplatz des Wandlungsprozesses, den die Wendezeit darstellt, ist nicht das ich-betonte Wachbewusste, sondern das Unbewusste (Willis Harman). Weil es sich dabei um einen Jahrhunderte
umfassenden Prozess von Bewusstsein im Wandel handelt, werden damit verbundene Störungen für den Menschen erst offenkundig, erreicht der auf eine Umwälzung (im Sankrit „Wandel, Umkehr“) zusteuernde
Prozess seinen Höhepunkt.
Bislang kennen wir Wendezeiten nur aus den Mythen der Völker, die vor Katastrophen warnen, die aufgrund von Gesetzmäßigkeiten am Ende eines Weltzyklus auftreten und zum Untergang der
Zivilisation(en) führen können, wenn der Mensch nicht reagiert, um die Gefahren, die sie aufzeigen abzuwenden. Welch tiefe Spuren Zeitenwenden im kollektiven Gedächtnis hinterließen, zeigt sich schon
daran, dass das Wort Katastrophe (griechisch und lateinisch) „Umkehr“ oder Wendung“ bedeutet.
Die letzte Wendezeit ist uns als Mythos vom Trojanischen Krieg vertraut, nach dessen dunklen Jahrhunderten sich in Griechenland die mentale Struktur des Bewussteins etabliert hat. Aber diese
Möglichkeit ist nur ein von fünf möglichen Stufen geistiger Entfaltung, durch welche die Menschheit im Lauf ihrer Kulturentwicklung (und in strenger Einhaltung des biogenetischen Grundgesetzes jeder
einzelne in dieser Menschheit) zu gehen hat. Jean Gebser nannte diese fünf Möglichkeiten die archaische, magische, mythische, mentale und integrale Stufe.
Alle bislang verwirklichten Bewusstseinsstufen spiegeln sich konkret in der Kulturentwicklung wider. Keine ist besser oder schlechter als die anderen, und alle sind im Unbewussten enthalten.
Nachdem sich die mentale Struktur im Bewusstsein der Griechen formte und im Umbruch des religiösen Empfindens im Nahen Osten zutage tritt, wird das neue Weltmodell zur Absprungsbasis der
Bewusstseinshaltung der abendländischen Zivilisation. Aber diese psychische Möglichkeit, die der Mensch hat, die Welt und die Kräfte, die sie formen zu begreifen, ist nicht die letztmögliche. Ante
portas steht die einzige noch von keiner Kultur verwirklichte integrale Bewusstseinstruktur, die in sich die Kraft trägt die Gesellschaft zu wandeln.
Jedes neue Weltmodell tritt zuerst nur als Möglichkeit in das Bewusstsein der Menschen. Weil es zu traditionellen Modellen in Konflikt gerät, sind Zeitenwenden stets „Zeiten der Störung, ja der
Zerstörung“. Sie sind Zeiten der Mutation, zu der es kommt, wenn der geistige Boden bereitet ist, aus dem die Mutation (lat. „Veränderung“) erwächst. Da sich das Positive, Aufbauende, stiller
vollzieht als der Radau, den das in sich Zusammenstürzende macht, besteht die Gefahr, dass der Mensch, der sich nicht bewusst ist, in der Endphase einer Zeitenwende zu leben, im Ansturm von nuklearer
Bedrohung, zusammenbrechender Sozial- und Wirtschaftssysteme und einer sich katastrophal verändernden Umwelt, der Entropie verfällt, was wiederum „Wendung“, „Umkehr“ bedeutet.
Bewusstsein im Wandel
Bewusstsein nennen wir die Art, wie wir die Umwelt mit Hilfe unserer Sinnesorgane wahrnehmen. Diese Wahrnehmungen projizieren wir fortlaufend auf unsere Umwelt. Dadurch wird die Vorstellung von einer
dreidimensionalen Wirklichkeit, auf die unsere physischen Sinnensorgane abgestimmt sind, fortlaufend ritualisiert. Tatsächlich sind wir nur fähig, einen kleinen Ausschnitt der viel-dimensionalen
Wirklichkeit eines sich ständig wandelnden Universums wahrzunehmen, wie es die moderne Physik bereits voraussetzt. So ist es kein Zufall, dass ein Quantenphysiker, Fritjof Capra, den östlichen
Begriff Wendezeit im Westen publik machte.
Mit geistigen Prozessen beschäftigt sich traditionell die Philosophie, die bis zur Entstehung der modernen Naturwissenschaften im 17. Jahrhundert als „Inbegriff aller Wissenschaft“ galt.
Wissensformen wandeln sich, wenn Gesellschaften sich wandeln, bzw. verändern sich wandelnde Wissensformen die Gesellschaft. Die Überwindung des geozentrischen Weltbildes der Antike und des biblischen
Schöpfungsmythos durch die Theorie eines Kopernikus, hatte das europäische Geistesleben gewandelt, das im Dogmatismus des aristotelisch-biblischen Erfahrungshorizontes erstarrt war. In der Folge wird
die vorbildliche Ordnung wie sich daraus ableitende Grundsätze all dessen, was in einem aristotelisch-scholastischen Kosmos für den Menschen denkbar und erkennbar war, außer Kraft gesetzt.
An die Stelle der dogmatischen Metaphysik des Mittelalters tritt die Erkenntniskritik im Sinne der Kantischen Metaphysik-Kritik. In der Neuzeit führen sich bildende Erfahrungswissenschaften zu einer
Neudefinition der Philosophie, die nun nicht mehr als Inbegriff aller Wissenschaft verstanden wird, sondern als das alle Wissenschaft Übergreifende oder Begründende.
Mitte des 19. Jahrhunderts findet ausgelöst durch Descarte’s Dualismus die Trennung der Wissenschaften in Geistes- und Naturwissenschaften statt. Durch Aufsplitterung der Ersten Philosophie (im Sinne
von Aristoteles Metaphysik das Wissen vom obersten Seienden als Krönung des gesamten Wissenskosmos) kommt es zur Entstehung verschiedener Geistesdisziplinen (Theologie, Psychologie, Geschichte usw.).
In der Folge geht die naturwissenschaftliche Forschung ihren methodengerechten Alleingang. Schlussendlich ersetzt der absolute Forschrittsglaube des Westens die Philosophie als grundlegendes
geistiges Fundament.
Je weiter die Sinn-Suche aus dem bewussten Erfahrungshorizont des Menschen ins Unbewusste abgedrängt wird, umso größer wird auch die Sinnleere. Zwischen dem Bewusstsein des Menschen und dem
Unbewussten tut sich ein immer weiter auseinander klaffender Abgrund auf, der nicht mehr durch Religion und Philosophie überbrückt werden kann.
Heute erleben wir das Negativ-Szenario dieser Entwicklung. Die auf dem Reißbrett entwickelte, rational geplante, technokratisch vernetzte, sich globalisierende, von Multis verwaltete und gelenkte
„wissenschaftliche Gesellschaft“, die mithilfe von Gentechnologie und Sozialbiologie die natürliche Selektion der Natur verbessern möchte, kann die ökonomische Krise der (hart erkämpften) Wohlfahrts-
und Sozialstaaten des Westens nur kurzfristig in den Griff bekommen. Weil nicht die ganze Welt vom süßen Honigtopf materiellen Überflusses und ökonomisch-sozialer Absicherung naschen kann, kommt es
auch zu einer Selektion der Kultur(en). Eine neue Elite mit alten Machttendenzen und altem Konfliktpotential entsteht, die aufgrund der ungeheuren Zerstörungskraft moderner Waffen nur in die
Katastrophe der Selbstauslöschung münden kann. Fahren wir weiterhin damit fort, die Natur durch Genmanipulationen übertrumpfen zu wollen, ständig mehr haben zu wollen, als mehr zu sein; lassen wir
nicht von der Hybris ab, unsere Technik zu überschätzen, die ein einziger mächtiger Sonnensturm außer Kraft setzen kann, und hören wir nicht damit auf, unsere Vergangenheit endlos in die die Zukunft
verlängern zu wollen, stellen wir sicher, dass die Befreiung aus unserem Wahn einzig und allein durch Zerstörung geschehen kann.
Der Ausweg
Was wir derzeit erleben ist eine Krise des Bewusstseins, die auf geistiger Ebene zustande kam, weshalb wir sie auch auf geistiger Ebene austragen müssen. Von unserer Bereitschaft dazu hängt
nicht nur die weitere Entwicklung der Völker ab (soziologisch, ökonomisch und kulturell), sondern das Überleben der Art selbst und die menschgerechte Bewohnbarkeit unseres Planeten.
Am Höhepunkt einer Wendezeit geht es nicht mehr wie in der Vergangenheit um einen Wandel von Inhalten, sondern um einen Wandel der Strukturen und damit der Fundamente des Denkens. Der Anstoß zur
„Umkehr“ kann deshalb nicht aus dem Gleichgewicht, der Ordnung, kommen. Wie die Chaosforschung erkannte setzen Wandel, Transformation und Evolution ein kreatives Ungleichgewicht voraus, dessen
schöpferischer Aspekt nicht im Aufbau oder der Ordnung liegt, sondern in der Zerstörung, dem Chaos mit seiner scheinbaren Nichtordnung. Das wäre unser endgültiger Urteilsspruch, gäbe es nicht so
etwas wie den Quantensprung, durch den sich ein System, das sich dadurch selbst erhält, von innen heraus in eine neue Richtung entwickelt.
Da der Schauplatz eines Bewusstseinswandels das Unbewusste ist, und weil alle Bewusstseinsstrukturen der menschliche Psyche, dem Unbewussten, eingeschrieben sind, liegt die Verwirklichung einer Ära
integralen Umfassens, in der alle Bewusstseinslagen, die facettenreiche Vielfalt des Kulturreichtums der Völker dieses Planeten, ihren Platz finden, im Bereich des Möglichen. Die Schwierigkeit ihrer
Umsetzung liegt darin, dass sie bereits integrales Denken voraussetzt. Hier kommt die moderne Mythenforschung ins Spiel, die auf C. G. Jung’s Untersuchungen des Unbewussten aufbaut. Um es mit den
Worten eines „der brillantesten neuen Denker“ der USA, dem Kulturwissenschafter William Irving Thompson auszudrücken: „Wenn die Geschichte zum Medium unserer Gefangenschaft wurde, dann muß die
Geschichte auch zum Medium unserer Befreiung werden“.
Dem steht „die Fremdheit“ entgegen, mit der wir Quellen gegenüber treten, die die archäologische und sprachwissenschaftliche Forschung in den letzten zwei Jahrhunderten „zum Sprechen“ brachte. Diese
Stimme bleibt uns fremd, da sie die Stimme „eines anderen Menschen“ zu sein scheint. Das liegt daran, dass Geschichte für uns ihren Anfang erst bei jener Schwelle nimmt, „welche die Kulturreligion im
Zeichen der natürlichen Evidenz von den Bekenntnisreligionen und philosophischen Systemen im Zeichen der Wahrheit trennt“. Diese Schwelle nannte Karl Jaspers die „Achse der Weltgeschichte“.
Sie liegt rund um 500 v. Chr. (mentale Struktur), „in dem zwischen 800 und 200 stattfindenden geistigen Prozess, mit dem wir bis heute leben“.
Wie Jan Assman in „Ma.at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten“ aufmerksam macht, ist das die Zeitspanne, während der in China Konfuzius und Lotse wirken, in der die Richtungen
der chinesischen Philosophie entstehen und in Indien die Upanishaden, in der Buddha lebte, Zarathustra sein Weltbild des Kampfes zwischen Gut und Böse lehrte, in Palästina die Propheten von Elias bis
zu Deuterojesaias in Erscheinung treten und in Griechenland Homer, die Philosophen und Tragiker. „In diesem Zeitraum hebt die Geschichte an, die wir erinnern können, die Geschichte, die von unserem
verstehenden Bewusstsein erhellt wird, das nur so weit reicht wie der damals entstandene Mensch“ (Karl Jaspers bei Jan Assman 1990. S. 24).
Diese Schwelle müssen wir überschreiten, um Geschichte zum „Medium unserer Befreiung“ machen zu können. Dazu ist bislang nur der Mythos fähig, für den Schöpfung keinen abgeschlossenen Prozess
darstellt, sondern eine stetige Höherentwicklung, von der der Mensch als höher entwickelte Form des Lebens naturgemäß nicht ausgenommen ist. Weil alle bislang von Kulturen verwirklichten
Bewusstseinsstufen ihre Spuren in Kult und Ritus hinterließen, deren anthropologische, archäologische und linguistische Zeugnisse wir orten können, wird Transparentes evident und Evidenz transparent.
Das gestattet eine Art Archäologie der Seele, die es erlaubt, bis in die tiefsten Schichten des Bewusstseins, ins Archaische vorzudringen, bei dem es sich nicht um das Primitive handelt,
„sondern um das Ferne und notwendig Komplizierte, ja Paradoxe, das von der Gipfelhöhe des Intellekts nicht mehr entziffert werden kann“ (Joachim Illies bei Gebser 1953).
„Der harte Kern ist das Achaische. Was am ältesten ist, ist am aktivsten“, (Régis Debray, Ziegler 2009. S. 34). Weil der Ur.sprung im Mythos stets gegenwärtig bleibt, können wir mit seiner
Hilfe bis zur vorweltlichen Kraft der Großen Mutter der Urmythen vordringen, die wie das Unbewusste, das sich in ihr personifiziert, nicht nur einen zerstörerischen, auch einen
aufbauenden Aspekt besitzt. Eine derartige „Rückwendung“ stellt keine Stagnation dar, sondern gestattet den „notwendigen Zuwachs an Erkenntnis“, der die bewusste Gegendrehung erlaubt, die
fähig ist, alles Geschichtliche zu transzendieren (Thompson).
Inhalt und Aufbau dieses Buches
Absicht dieses Buches ist es, darauf aufmerksam zu machen, dass dieselben Mythen, die unseren Untergang vorauszusagen scheinen, aufzeigen wie er verhindert werden kann. Dabei spielt es keine Rolle,
ob sie wie die Mythen der Ägypter, Hindu, Hopi oder Maya, eine Neugeburt, die Rückkehr eines Goldenen Zeitalters ankündigen, oder einen Weltuntergang wie in Platons Parabel von Atlantis, Sintflut
(Altes Testament) und Offenbarung (Neues Testament). Weil der Mythos das Schicksal der in die Zeit gefallenen Seele vom „Anfang der Zeit“ bis zum „Ende der Zeit“ beschreibt, sind beide
Interpretationsmöglichkeiten nur die zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Zwar entwickelte jede Kultur im Lauf ihrer Geschichte ihre eigene, zur Geschichte der Seele passende Story, aber sie ist nur das Gewand, das Fruchtfleisch, das den Kern, den Elementargedanken
eines Mythos umhüllt. Während das Gewand, die Völkergedanken einer Mythologie, Aufschluss über den psychischen Zustand des Volkes geben, das sie während seiner Entstehungsgeschichte schuf,
verhindert die archetypische Struktur des Mythos, dass die Geschichte, die er erzählt, vollkommen verdreht werden kann. Dabei müssen wir berücksichtigen, dass die Seele (gr. psyche), die einen
Seinszustand darstellt, im Gegensatz zum zeitgebundenen Ich keinen Anfang und kein Ende kennt (Lévy-Strauss). Gegenwart stellt deshalb für die Seele nicht dasselbe dar wie für das Ich, nicht
das bloße Jetzt, den Augenblick oder das Heute, sondern eine ganzheitliche Leistung. Ebenso bedeutet Tod für die Seele keinen physischen Untergang, sondern die Bewusstwerdung von etwas, das sich
vorübergehend aus dem Bewusstsein entfernte.
Kapitel Eins: Das kollektive Unbewusste - Die Grosse Mutter
Dieses einführende Kapitel ist eigentlich ein Nullkapitel. Anhand mythischer Beispiele vom Kinderreim bis zur jüdischen Gnosis weisen wir auf heute bekannte Zusammenhänge von Mythos, menschlicher
Psyche und Bewusstsein hin.
Wir klären den scheinbaren Gegensatz von Elementargedanke und Völkergedanke, begegnen Jung’s Archetypenlehre, entmystifizieren den Zusammenhang von Offenbarung und Psyche, stellen die zwei möglichen
Vorstellungen vom Ich vor, und erkunden die beiden mächtigen Antriebskräfte der Psyche, Lebenstrieb und Todestrieb, die vor dem Fall der Seele in die Zeit eine Einheit bilden.
Wie sehr wir umdenken müssen, um zu einer integralen Geisteshaltung gelangen zu können, erweist sich daran, dass der Ursprung, weil er eigentlich nulldimensional ist, für die nach ihm zurückblickende
Ratio rätselhaft bleiben muss. Da das Archaische anfänglich mit dem Ursprung selbst identisch ist (Gebser), ist der Ursprung für unsere Logik genau so paradox wie jeder Qualitätssprung aus dem
Nichts ins Sein oder der Urknall der Physiker.
Kapitel Zwei: Das Drama der Zivilisierung
In diesem Kapitel widmen wir uns dem Archaischen als Kulturerscheinung. Im ersten Teil (Das Umweltprogramm der Vorgeschichte) begegnen wir den beiden großen Dogmen der westlichen Seinsvorstellung,
Menschenbild und Weltbild. Danach wenden wir uns dem planetaren Weltbild früher Kulturen zu, das ein „Umweltprogramm als Ganzes“ erkennen lässt.
Stellvertretend für nichtwestliche Kulturen führen wir die afrikanische Seinsphilosophie an, die für uns überraschend ist, weil sie im Gegensatz zur westlichen Seinsvorstellung eine
viel-dimensionale Wirklichkeit voraussetzt. Sein und Nichtsein stellen deshalb keine Gegensätze dar, sondern sind Spiegelbilder voneinander. Dabei beziehen wir uns auf den Ruander Alexander
Kagame, der für seine Strukturierung der Bantusprachen den Doktorgrad der Philosophie an der Gregorianischen Universität in Rom erhielt. Weil die heutigen Sprachen das Endergebnis eines
Jahrtausende umfassenden Symbolisierungsprozesses sind und Afrika die „Wiege der Menschheit“ ist, erlaubt die Strukturierung der Bantu-Sprachen den Rückschluss auf eine ursprüngliche
Seinsphilosophie, die der Entstehung dieser Sprachen zugrunde lag.
Im zweiten Teil (Die Technik des Heiligen) wird anhand von Felsbildern der San (Südafrika) der ursächlich Zusammenhang von Symbolik und Sprachbildung deutlich. Danach erkunden wir den von Dr. Robin
Baker bei Aborigines nachgewiesenen „sechsten Sinn“ und stoßen auf Übereinstimmungen zwischen Nahtoderfahrungen und entoptischen Bildern. Dabei handelt es sich um „neurologisch
identifizierbare Prinzipien der Bildung geistiger Vorstellungen durch die Funktion des menschlichen Nervensystems“, die bei entsprechender Praktik aus den tiefsten Bereichen des Gehirns hervorgehen,
sich mit geometrischen Strukturen verbinden und das Erinnerte sichtbar machen.
Der offenkundig werdende Zusammenhang zwischen morphogenetischen Feldern, die Dr. Rupert Sheldrake vorstellte, und einem „Frühlicht des Geistes“, das die spirituelle Praktik des Yoga ebenso
wie den hochgeistigen Mahayãna-Buddhismus mit einer weltweit praktizierten „neolithischen Technik des Heiligen“ verbindet, lässt den Rückschluss zu, dass das entscheidende Element zur Entwicklung des
Menschen zum Kulturwesen nicht die technische Fähigkeit des Mannes war, Werkzeuge zu erfinden, sondern die Fähigkeit früher Menschen, mit Hilfe ihrer psychischen Werkzeuge in andere Realitäten
vorzudringen.
Kapitel Drei: Der Sündenfall
macht auf den radikalen Umbruch in unserer Vorgeschichte aufmerksam. Der Bruch des ältesten Bundes des Menschen mit Gott, zu dem es in Mesopotamien kommt, kündigt eine Katastrophe an, die keine
Katastrophe des Orients sein wird, sondern eine des Abendlandes. Positives wird zu Negativem und Erlösung verkehrt sich in Schuld.
Zwar hat die magische die archaische Bewusstseinsstruktur überwunden, aber im psychischen Zustand dieser Bewusstseinsstufe gesteht der Mensch die Gotteserfahrung nur noch sich selbst zu - oder in
Erweiterung des Ich nur dem eigenen Volk (Ken Wilber). Dadurch bläht sich sein Ich auf und wird selbst zu Gott. Kulturgeschichtlich verbindet sich die Bewusstwerdung des Ich mit der
Herausbildung des individuellen Herrschertums, das sich mythologisch nicht vom Sonnenkult trennen lässt, der die Lichtgestalt der Großen Göttin verdrängt. Das gestattet die Erschaffung des
Frauenbildes in einer nach militaristischen Grundsätzen organisierten Zivilisation, die ihren ersten Höhepunkt im Gilgamesh-Epos erreicht, dessen melancholischer Grundton bis heute die Literatur des
Abendlandes durchhallt.
Kapitel Vier: Die Geschichte der Seele
ist der ägyptischen Hochzivilisation gewidmet, die länger als jede andere Zivilisation auf diesem Planeten existierte. Im ersten Teil (Isis und Osiris) zeigen wir auf wie die mythische Struktur die
magische Stufe überwand. Die religiöse Erfahrung beruht nun „auf dem Gefühl der Identifikation mit der Offenbarung, die alle Völker miteinander verbindet, die einen gemeinsamen Mythos besitzen“ (Ken
Wilber).
Die ägyptische Seelenlehre hinterließ nachhaltige Spuren in der Mystik von Orient und Okzident. Damit wir uns ihr annähern können, muss der Mystiker das Glas zerbrechen, „durch das er alle Dinge
dunkel sieht“, und der Rationalist das Glas „durch das er alle Dinge klar sieht“ (Norman Brown). Nur dann können beide gemeinsam in „das Reich psychologischer Realität“ eintreten, denn
das ist das Reich der Mythen. Dabei beziehen wir uns vorwiegend auf Plutarch’s Erzählung: Über Isis und Osiris und deren einfühlsame Interpretation durch William Irving Thompson.
Der zweite Teil (Seths Triumph über Horus) macht auf die Wechselwirkung zwischen der Geschichte Ägyptens und dem sich wandelnden Gewand des Mythos von Isis und Osiris aufmerksam. Wir können erkennen,
dass die treibende Kraft zur Zivilisierung zwar die Bewusstwerdung des Ich war, nicht aber der Krieg, sondern der Friede. Während „Kriegsmythologien“ entstehen, die zunehmend unvereinbar mit
„Friedensmythologien“ werden, wird das „von Gott“ eingesetzte Königtum wie die Gesellschaft, die es formt, zum höchsten Faktor und Maßstab, der von nun an bestimmt was richtig oder falsch ist.
Kapitel Fünf: Der Mythos des Abendlandes
beschreibt die Fortsetzung der Geschichte der Seele diesseits der „Achse der Geschichte“. Im ersten Teil (Der Mythos von Tristan und Isolde) zeigen wir auf, dass es sich bei den Akteuren dieses
ersten eigenständigen Mythos des Abendlandes um „Prototypen der Gefühlsstruktur des modernen Menschen“ handelt. Weil jede Geschichte der Seele das Alte bewahrt und das Neue integriert, wird sie zur
Ouvertüre dessen was noch kommt. Deshalb spiegelt sich das Dasein dieser Akteure ganz konkret in den Krisen der modernen Gesellschaft wider (Teil Zwei: Mythos und Gegenwart).
Kapitel Sechs: Am Ende der Zeit
Nach Klärung astronomischer und geodätischer Fakten wird deutlich, dass wir uns im Synchronisationsprozess der beiden großen Erdzyklen (Polarachse und Äquinoktien) befinden. Das gegenwärtige innere
und äußere Geschehen erhält dadurch jene mythologische Größe, die ihm Endzeitmythen von Ägypten über die Apokalypse des Johannes bis zum Maya-Kalender (Dezember 2012) zuschreiben. Prometheus, der
Mensch, ist nun in der Lage, die Fesseln abzustreifen, die ihn an die Materie ketten.
Im zweiten Teil (Galaktische Synchronisation - Umpolung und Offenbarung) gehen wir auf die Möglichkeit unseres Untergangs aus der Sicht von Mythos, Prophetentum und Wissenschaft ein.
Kapitel Sieben: Die Zukunft hat schon begonnen
bringt im ersten Teil (Zeit als Prinzip harmonikalischer Resonanz) mystische und wissenschaftliche Erkenntnisse unter einen Hut, wodurch sich zum ersten Mal in unserer Geschichte die in allen
Endzeitmythen aufgezeigte Möglichkeit ergibt, das am Ende der Zeit gesetzmäßig auftretende Chaos nicht passiv zu ertragen, sondern schöpferisch (aktiv) zu nutzen. Im zweiten Teil (Der erwachende
Geist) betreten wir das Neuland der integralen Bewusstseinsstufe, deren Vorauswirken bereits deutlich erkennbar ist.
Diese mit Hilfe des menschlichen Geistes zu verwirklichende Ära integralen Umfassens schafft die Klarheit der Ratio nicht ab, sondern gestattete es dem Denken, sich in neue Dimensionen des
Geistes auszuweiten. Ihr Credo ist nicht mehr das trennende Ich-bin-Ich oder Entweder-Oder, sondern ein Wir und Sowohl-als-Auch, das es erlaubt, Lösungen für drängende Probleme zu finden, die nicht
mehr nur wenigen Individuen, sondern der Menschheit als Ganzes zugute kommen.
Dieses neue „Weltmodell“ kann sich verwirklichen, nachdem die mentale Struktur ihre eigentliche Aufgabe erfüllt hat, „die fundamentale Differenzierung und Autonomie des Menschen zu erreichen,
die allein die Möglichkeit für eine größere Synthese schafft. Als Teil eines größeren Ganzen erkannt kann sie über sie hinausführen, was eine unerwartete Öffnung zu einer höheren Realität bewirkt,
die vorher nicht verstanden werden konnte, weil sie ein schöpferischer Akt ist (Richard Tanis).
Der Weg dahin ist unsere Geschichte der Bewusstwerdung, die versehen mit neuen Vorzeichen vom Mittel unserer Urteilsnahme zum Mittel unserer Rettung werden kann.
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Leseprobe Kapitel VI: Am Ende der Zeit
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© Christa Zettel, 2012